Heutzutage
scheint uns die Ökonomie in unterschiedlichen Gesellschaften sowie in den
internationalen Beziehungen zwischen einzelnen Ländern ihr Gesetz aufzuzwingen.
In Gestalt des neoliberalen Denkens ist sie zu einer Art planetarischen
Religion oder Weltkirche geworden. Der Soziologe Wolfgang
Streeck, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, oder
René Stettler, Direktor der Neuen Galerie Luzern, vergleichen dieses Denken mit einer Sekte, die
über ihre eigenen Priester, Initiierten, ihren Katechismus, ihre
Gutachterkomimissionen sowie über eine Unzahl Gläubiger verfügt, die vor den
Dogmen niederknien und den Zehnt bezahlen sollen. René Stettler fragt, ob wir «Gefangene einer globalen ökonomischen
Sekte» geworden seien. Die Initiierten, Experten einer
spekulativen Theologie, haben uns sogar eine neue, imaginäre Wirtschaft
aufgezwungen, in deren Namen Krisen, die allgemeine Arbeitslosigkeit sowie die
Ausbeutung der Armen durch die Reichen legitimiert werden, indem sie als ökonomische
Notwendigkeiten bezeichnet werden. 1% stellt sich über 99% der Menschheit, die
keine Macht haben, um sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ein paar Reiche werden
immer reicher und die anderen sehen dabei zu, wie ihr Lohnniveau und ihr
Lebensstandard sinken. Dies ist das
Naturgesetz der Ökonomie und des Neoliberalismus, die man nicht ändern kann und
die wie ein Neodarwinismus sich selbst rationalisieren. Die Ökonomie unternimmt
eine natürliche Auslese, in der die Schwachen dem Löwen zum Fraß vorgeworfen werden
Ungeachtet der verständlichen Empörung und des Widerstandes,
die von dieser Lage provoziert werden, sind nicht diese Missstände das
Schlimmste. Das Übel besteht vielmehr darin, dass diese Ökonomie sich als
Wissenschaft geriert, in der Irrationalität nicht nur zum Gesetz, sondern zur sozialen Logik erhoben wird. Die
Massengesellschaften haben die organische Solidarität verloren, mit der bis
dato deren Kohärenz, Konsens sowie das Gefühl einer geteilten Verantwortlichkeit
sichergestellt wurden. Die Ökonomie ist nur noch eine mechanische, anonyme
Solidarität der Massengesellschaft. Auf Grund des Verlustes von Beziehungen
zwischen Personen wurde sie zum einzigen Bindeglied, das heutzutage unsere
sozialen Zusammenhänge regelt. Man sollte sicherlich nicht den religiösen
Verhältnissen oder dem heuchlerischen bürgerlichen Humanismus der Vergangenheit
nachtrauern, die ihre Glaubwürdigkeit verloren haben. Sie werden aber nicht in
angemessener Weise ersetzt, da allein ökonomische Regeln und Pflichten auf die
vergangene Konstellationen folgen, die die neue Form kollektiver Moral sowie
der Solidarität des Austausches unter Menschen sein sollen. Diejenigen, die die
Religion der Ökonomie als Nullpunkt der menschlichen Beziehungen anprangern,
erscheinen wie Utopisten, die träumen und die menschliche Realität nicht
beachten wollen.
Man
könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass die Diktatur der Ökonomie und des
Geldes immer noch besser sei als die von Kriegsführern oder Fundamentalisten.
Das mag stimmen. Der Vergleich macht uns aber blind für Lösungen, da er vom
Problem ablenkt. Es gibt in den Massengesellschaften nämlich ein menschliches
Vakuum, da sie nicht mehr auf gemeinsamen Werten gründen, aus denen eine
soziale Logik entstehen könnte. Das zentrale Problem ist die ökonomische
Überschreitung. Es macht keinen Sinn, die Wirtschaft als solche zu diskreditieren,
da sie eine positive Dimension des gesellschaftlichen Lebens ist. Um zu
einer neuen, besseren Vision als der des
ökonomischen Fundamentalismus zu gelangen, sollten wir nach mehr sozialer
Gerechtigkeit und konsensueller Verständigung streben, die die mächtige
Wirtschaft regulieren und Missbrauch und Skandale verhindern könnten. Es geht
darum, Wirtschaft in gegenseitiger Achtung zu humanisieren. Es ist unsere Aufgabe,
einen neuen Hyperhumanismus sowie eine planetarische Ethik zu entwickeln, die
auf einem Humanismus digitaler Hyperlinks aufsetzen, wie sie von sozialen
Medien ermöglicht werden. Das heißt, an den menschlichen Fortschritt zu
glauben, der von digitalen Technologien begünstigt wird. Es mag wie ein Paradox
klingen, aber diese neuen Technologien, ermöglichen nicht nur eine augmented
reality, sondern auch ein augmented consciousness, das sicher für
unsere Zukunft viel wichtiger sein wird.
Im Bereich der Kunst und des Lebens ist diese Logik der Ökonomie besonders giftig.
(dieser Text wurde auf Deutsch mit der Hilfe von Martina Leeker korrigiert)
Aucun commentaire:
Enregistrer un commentaire